Sonntag, 22. November 2009

Oper 2.0: Prettys virtueller Freund Ray

punkt - das magazin des fh-studiengangs journalismus wien - über die Wiener Kammeroper

OPER 2.0

Facebook, Dire Straits und Oper – eine unmögliche Kombination. Die Wiener Kammeroper beweist das Gegenteil. Punkige Plakate, klassischer Gesang und ein Intendant, der für beides offen ist.

Pretty Yende ist Sopranistin. Auf Ihrer Facebook-Seite hat sie 1.258 Freunde. Einer davon ist Ray Man. Auf den ersten Blick ein normaler Facebook-Account mit einem ungewöhnlichen Profilbild: ein Hahn, auf blau-schwarzem Hintergrund. Bei genauerem Hinsehen wird klar: hinter Ray Man steckt mehr. Die vielen Hinweise auf die Wiener Kammeroper in seinen Postings sind kein Zufall. Holger Bleck, Intendant der Kammeroper, hat die fiktive Figur Ray Man erfunden, um das Stück „Gespenstersonate“ von Aribert Reimann – also Ray Man – zu bewerben.

„Ich gönne mir diese kleinen Scherze“, sagt Holger Bleck im Gespräch mit Punkt. Er nennt die erfundenen Figuren „Testimonials“. „Das Kind in mir spielt sich gern mit diesen Dingen“, meint der Intendant. Bleck kam 1998 an die Kammeroper und war anfangs für die Bereiche Marketing, Controlling und Projektkoordination zuständig. Ein Jahr später wurde er zum Intendanten. Bleck bezeichnet sich selbst als affin neuen Medien gegenüber. Er betreut eine Facebook-Seite, einen Account auf Twitter und hält die Fans seines Opernhauses via Blogspot auf dem Laufenden. „Die Möglichkeiten sind da, man muss sie nur nutzen“, sagt er.

Oper als Gesamtkunstwerk

Nicht nur das Marketing der Kammeroper ist anders, auch das Programm der 1953 gegründeten Bühne ist abseits vom Mainstream. Auf dem Spielplan stehen Raritäten und österreichische Erstaufführungen aus den Genres Barockoper, Opera buffa (komische Oper), Kammer-Musical und zeitgenössischem Musiktheater. In jeder Spielzeit werden drei bis fünf Stücke produziert. Holger Bleck spricht vom Konzept „Gesamtkunstwerk“: „Ich versuche pro Spielzeit eine Idee, eine Vision zu verwirklichen. Eine Idee, die nicht nur meine persönlichen Befindlichkeiten reflektiert, sondern sich auch um Zeitgeist, um Politik oder Wirtschaft kümmert.“

Für die Spielzeit 2009/2010 heißt das Motto „Money for nothing, chicks for free“ – Geld für nichts und Mädels gratis. Der gleichnamige Song der britischen Popband Dire Straits kritisiert die Oberflächlichkeit der 80er. Laut Bleck passt dieses Motto auch in die Zeit der Wirtschaftskrise.

Eine Krise, die auch die Kulturtreibenden nicht unberührt lässt. Jede Firmenpleite bedeute den Verlust eines potenziellen Sponsors, jeder verlorene Arbeitsplatz einen potenziellen Zuschauer weniger, meint Bleck. Dazu käme die Tatsache, dass es gerade im Bereich der zeitgenössischen Musik Werke gäbe die schwierig und nicht mehrheitsfähig wären: „Da kommen keine 1000 Leute, auch keine 300“, sagt er. Andere Werke sorgen wiederum für volles Haus und volle Kassen. So zum Beispiel Le Pescatrici von Haydn im Februar 2009. „Auf den Mix kommt es an“, sagt der Intendant. Mit einer durchschnittlichen Auslastung von 85 % zeigt sich Holger Bleck sehr zufrieden.

Neben den Zuschauern spielen Fördergelder eine wichtige Rolle. Die Stadt Wien unterstützt die Kammeroper mit 1,53 Millionen Euro [Anmerkung dazu: Das wäre schön und eine Anregung an den Kulturstadtrat! Richtig ist eine Gesamtförderung von nicht mehr als 1,35 Mill Euro von Stadt Wien + bmukk gemeinsam. H. Bleck]. Im Vergleich: Das Theater an der Wien erhält ca. 25 Millionen Euro, die Staatsoper rund 55 Mio. „1,53 [1,35!] Millionen, das klingt erst mal viel, man kann damit aber keine großen Sprünge machen“, sagt Holger Bleck, "Musiktheater ist eine sehr teure Form der Kunst."

Junge Oper

Das Publikum der Wiener Kammeroper ist mit dem der Staats- oder Volksoper nicht zu vergleichen. „Wenn Sie mich fragen, wie der typische Besucher aussieht, dann müsste ich antworten: Jemand, der eine starke Offenheit besitzt für Neues, abseits des Mainstreams“, nimmt Holger Bleck die Frage gleich vorweg. Vom Mittelschüler bis zum Pensionisten sitze da alles im Saal mit gerade 300 Plätzen.

„Die Jugend für die Oper zu begeistern ist wichtig“, sagt Intendant Holger Bleck. Flaggschiff der Jugendarbeit ist der jährlich stattfindende „Internationale Hans Gabor Belvedere Gesangswettbewerb“. 3000 junge Bewerber aus der ganzen Welt kämpfen bei Vorausscheidungen in 50 Städten um den Einzug ins Finale. Nicht das Preisgeld, sondern Networking steht im Vordergrund des Wettbewerbs. Manager und Talentscouts aus der ganzen Welt sitzen in der Jury. Zu den glücklichen Gewinnern zählt auch die Facebook-Nutzerin Pretty Yende. Die Südafrikanerin konnte heuer in elf Kategorien von sich überzeugen. Direkt nach dem Bewerb wurde sie in die Accademia des Teatro alla Scala in Mailand berufen.

Pretty Yendes virtueller Freund Ray Man wird weiter die „Gespenstersonate“ bewerben. Bis zum 13. Februar 2010, dem Premierentag an der Kammeroper.

INFO KAMMEROPER

Die Wiener Kammeroper wurde im Jahr 1953 von dem aus Ungarn stammendem Dirigenten Hans Gabor gegründet. Von Anfang an widmet sich das Opernhaus Raritäten. 1961 findet die Kammeroper ihre Heimat in einem ehemaligen Tanzsaal am Fleischmarkt. Mit dem Internationalen Hans Gabor Belvedere Gesangswettbewerb verschafft sich das Opernhaus seit den 80ern auch Internationales Gehör. Heute zeichnet sich die Kammeroper durch ein unverwechselbares Konzept aus: Auf dem Spielplan der Wiener Kammeroper stehen ausschließlich Raritäten und/oder österreichische Erstaufführungen aus Barockoper, Opera buffa, Kammer-Musical und zeitgenössischem Musiktheater.

Artikel zuletzt aktualisiert 19.11.2009 22:54 Doris Oberleiter, Günter Stummvoll

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